Die Pupille als Spiegel des schlafenden Gehirns7. März 2025 Mit einer neuen Art der Lid-Fixierung können Forschende das Auge eines Schläfers stundenlang offenhalten, um die Pupillenbewegung zu beobachten. (Quelle: © ETH Zürich) Erstmals können über Stunden beobachten, wie sich die Pupille schlafender Menschen verhält. Der Blick unter die Augenlider hat ihnen gezeigt: Im Gehirn passiert im Schlaf mehr als bisher angenommen. Wenn der Mensch schläft, hat er in der Regel die Augen geschlossen. Doch unter den geschlossenen Lidern geht die Post ab: Forschende um die Studienleiterinnen Caroline Lustenberger, Sarah Meissner, und Nicole Wenderoth vom Neural Control of Movement Lab der ETH Zürich haben beobachtet, dass die Größe der Pupille während des Schlafs ständig schwankt. Mal ist sie größer, mal kleiner, mal ändert sie ihre Größe innerhalb von Sekunden, mal innerhalb von Minuten. „Diese Dynamik spiegelt den Erregungszustand beziehungsweise das Aktivierungsniveau von Hirnregionen wider, die für die Schlaf-Wach-Regulation zuständig sind“, erklärt Lustenberger. „Diese Beobachtungen widersprechen der bisherigen Annahme, dass das Erregungsniveau im Schlaf grundsätzlich niedrig ist.“ Vielmehr zeigen die Pupillenschwankungen, dass sich das Gehirn auch im Schlaf in einem ständigen Wechsel zwischen einem höheren und niedrigeren Aktivierungsniveau befindet. Die neuen Erkenntnisse bestätigen zudem beim Menschen, was andere Forschergruppen kürzlich in Studien an Nagetieren herausgefunden haben: Auch bei ihnen treten langsame Schwankungen des Aktivierungsniveaus (Arousal) auf. Neue Methode für altes Rätsel Da tief liegende Hirnregionen im Hirnstamm das Aktivierungsniveau steuern, ist es bisher schwierig, diese Prozesse beim Menschen im Schlaf direkt zu messen. Bestehende Verfahren sind technisch anspruchsvoll und wurden in diesem Zusammenhang noch nicht etabliert. Die Studie der ETH-Forschenden setzt deshalb auf die Messung der Pupillen. Von den Pupillen ist bekannt, dass sie im Wachzustand das Aktivierungsniveau anzeigen. Sie dienen somit als Marker für die Aktivität tiefer liegender Hirnregionen. Um die Pupillenveränderungen am schlafenden Menschen zu untersuchen, entwickelten die ETH-Forschenden eine neue Methode: Dank einer speziellen Klebetechnik und einem durchsichtigen Pflaster konnten sie das Auge der Versuchspersonen über mehrere Stunden offen halten. „Unsere größte Sorge war, dass die Proband:innen nicht mit offenem Auge schlafen können. Aber in einem dunklen Raum vergessen die meisten, dass das Auge noch offen ist und können trotzdem schlafen“, erklärt der Erstautor der Studie, Manuel Carro Domínguez. Er hat diese Messtechnik entwickelt. Die Auswertung der Daten zeigte, dass die Pupillendynamik nicht nur mit den verschiedenen Schlafstadien zusammenhängt, sondern auch mit spezifischen Mustern der Hirnaktivität wie Schlafspindeln und ausgeprägten Tiefschlafwellen – Hirnwellen, die für die Gedächtniskonsolidierung und die Schlafstabilität wichtig sind. Darüber hinaus deckten die Forschenden auf, dass das Gehirn unterschiedlich stark auf Geräusche reagiert, je nach Aktivierungsniveau, das sich in der Pupillengröße widerspiegelt. Ein zentraler Regulator des Aktivierungsniveaus ist eine kleine Region im Hirnstamm, der Locus coeruleus. Bei Tieren konnten Wissenschaftler zeigen, dass dieser für die Regulation der Schlafstadien sowie das Aufwachen wichtig ist. Ob der Locus coeruleus direkt für die Pupillenveränderungen verantwortlich ist, konnten die ETH-Forschenden in dieser Studie jedoch noch nicht nachweisen. „Wir sehen einfach Pupillenveränderungen, die mit dem Aktivierungsniveau des Gehirns und der Herztätigkeit zusammenhängen“, erklärt Lustenberger. In einer Folgestudie wollen die Wissenschaftler die Aktivität des Locus coeruleus medikamentös beeinflussen und damit untersuchen, wie sich dies auf die Pupillendynamik auswirkt. So wollen sie herausfinden, ob diese Hirnregion tatsächlich für die Steuerung der Pupillen im Schlaf verantwortlich ist und wie sich Veränderungen des Aktivierungsniveaus auf den Schlaf und seine Funktionen auswirken. Krankheiten anhand Pupillendynamik erkennen Das Verständnis der Pupillendynamik während des Schlafs könnte zudem wichtige Hinweise für die Diagnose und Behandlung von Schlafstörungen und anderen Erkrankungen liefern. Deshalb wollen die Forschenden untersuchen, ob sich aus den Pupillenveränderungen im Schlaf Hinweise auf Störungen des Aktivierungssystems ableiten lassen. Dazu zählen Erkrankungen wie Insomnie, posttraumatische Belastungsstörungen und möglicherweise auch Alzheimer. „Das sind nur Vermutungen, denen wir künftig nachgehen wollen“, erklärt die Schlafforscherin. Ein weiteres Ziel ist es, die Technik auch außerhalb des Schlaflabors einsetzbar zu machen, zum Beispiel in Kliniken. Dort könnte sie helfen, das Aufwachen von Komapatienten zu überwachen oder Schlafstörungen genauer zu diagnostizieren. Die Pupille als Fenster zum Gehirn könnte so der Schlafmedizin und den Neurowissenschaften neue Möglichkeiten eröffnen.
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