Drei Löffel Spezialzucker täglich als Therapie bei seltener Stoffwechselerkrankung16. September 2021 Andreas Hüllen (links) und Christian Thiel beschrieben eine bislang unbekannte Störung im Zuckerstoffwechsel und fanden die geeignete Therapie. (Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg) Biochemiker und Mediziner der Universitätsklinika Heidelberg und Salzburg sowie dem Max-Planck-Institutes Magdeburg beschreiben eine bislang unbekannte Störung im Zuckerstoffwechsel nebst passender Therapie. Proteine brauchen Zucker: Mehr als die Hälfte der im menschlichen Körper vorhandenen Proteine funktionieren nur dann richtig, wenn sie mit bestimmten Zuckern bestückt sind. Störungen in den Abläufen dieser „Zucker-Anheftung“, der Glykosylierung, haben oftmals gravierende Auswirkungen auf die körperliche und geistige Entwicklung betroffener Kinder. Einen bis dato noch unbekannten Glykosylierungsdefekt haben Biochemiker und Mediziner der Universitätsklinika Heidelberg und Salzburg sowie des MPI Magdeburg bei einer vierjährigen Patientin mit Entwicklungsstörungen entdeckt und aktuell im Fachjournal „EMBO Molecular Medicine“ beschrieben. Das Besondere an dieser angeborenen Erkrankung: Sie ist gut behandelbar, wie die Heidelberger Experten bei ihren Analysen erkannten. Seit das Mädchen dreimal täglich einen Löffel des Spezialzuckers L-Fucose zu sich nimmt, hat sich ihr Zustand deutlich gebessert und sie hat in ihrer Entwicklung aufgeholt. Schon bald nach der Geburt des Kindes 2014 traten erste Auffälligkeiten in Entwicklung und Verhalten auf. Das Mädchen verweigerte die Nahrungsaufnahme, musste zeitweise über eine Sonde ernährt werden, blieb zu klein und leicht, lernte erst kurz vor dem vierten Geburtstag laufen und lag auch in ihrer geistigen Entwicklung erheblich zurück, konnte nicht sprechen. Eine erste Genanalyse an der Stoffwechselambulanz des Universitätsklinikums Salzburg (Österreich) ergab eine genetische Veränderung mit mutmaßlichen Auswirkungen auf die Glykosylierung. Das dortige Team um Dr. Saskia Wortmann wandte sich an PD Dr. Christian Thiel vom Dietmar-Hopp-Stoffwechselzentrum am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin Heidelberg, der sich mit seiner Arbeitsgruppe auf die Diagnostik von angeborenen Glykosylierungsdefekten (Congenital Disorders of Glycosylation, CDG) spezialisiert hat. Anhand von Hautzellen und Blutproben des Kindes fahndeten die Heidelberger Experten nach der Abweichung im System und wurden fündig bei einem Enzym (GDP-L-Fucose Synthase, GFUS), das für die Herstellung einer bestimmten Form des Zuckers Fucose (GDP-Fucose) zuständig ist. „Bei der Patientin funktionierte das GFUS-Enzym nur sehr eingeschränkt, so dass nicht genügend Fucose für die Anbindung an Proteine zur Verfügung stand“, erklärt Doktorand und Erstautor der Studie Andreas Hüllen. „Bei gesunden Menschen wird 90 Prozent der vom Körper gebildeten GDP-Fucose mit Hilfe des GFUS-Enzyms aus dem Zucker GDP-Mannose bereitgestellt. Die übrigen zehn Prozent stammen aus einem alternativen Stoffwechselweg, der bei der Patientin noch funktioniert und für den L-Fucose als Ausgangsstoff benötigt wird. Wir haben daher getestet, wie Zellen auf die Gabe von L-Fucose reagieren“, ergänzt Dr. Thiel. In den Experimenten normalisierten sich die gestörten Abläufe in den Zellen innerhalb kurzer Zeit. Diese Erfolge traten auch bei der Patientin ein, nachdem sie zusätzlich zu ihrer normalen Nahrung täglich drei Löffel des Zuckers erhielt. Im Laufe der folgenden zwei Jahre machte das Mädchen in seiner Entwicklung zum Teil rasante Fortschritte: Sie holte im Wachstum auf, ihre Motorik verbesserte sich deutlich, sie wurde selbstständiger in ihren täglichen Routinen und lernte innerhalb kurzer Zeit sprechen. Wie der Fucosemangel diese Entwicklungsschritte beeinflusst, ist noch unzureichend erforscht. Bekannt ist, dass Signalmoleküle und Proteine mit Fucose-Anhängen essentielle Rollen bei der Entwicklung von Nervengewebe und Gehirn, bei Zellkommunikation, Krankheitsabwehr, Entzündungsprozessen und Fruchtbarkeit spielen. Aktuell sind mehr als 150 verschiedene Glykosylierungsdefekte bekannt, von denen sich nur wenige effektiv behandeln lassen. Europaweit haben nach Schätzungen der Heidelberger Experten rund 2.500 Menschen eine entsprechende Diagnose erhalten, die Dunkelziffer der bislang nicht erkannten Patienten dürfte aber weit höher liegen. Symptome und Ausprägung der CDGs können sich stark voneinander unterscheiden. „Insbesondere bei Kindern mit Störungen mehrerer Organe und unklarer Erkrankungsursache sollte grundsätzlich auch ein Glykosylierungsdefekt in Betracht gezogen werden. Denn dank der biochemischen und klinischen Aufklärung der Erkrankung unserer kleinen Patientin haben nun Kinder mit ähnlichen Störungen eine gute Chance, deutlich früher eine wirksame Behandlung zu erhalten“, sagt Dr. Thiel.
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