Flugsaurier und Vögel entwickelten auf unterschiedlichen Wegen flugbereite Gehirne27. November 2025 Künstlerische Rekonstruktionen eines Flugsauriers (oben) und eines Lagerpetiden (unten) aus der späten Trias vor 215 Millionen Jahren: Die Bilder rechts zeigen 3D-Rekonstruktionen ihrer Gehirne, die durch computertomografische Scans gewonnen wurden. Quelle: Fernandes, Müller, Bronzati Copyright: Universität Tübingen Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Tübingen untersucht die Hirnevolution bei fliegenden Reptilien aus der Zeit der Dinosaurier. Ihre Flugfähigkeit erwarben Flugsaurier und Vögel unabhängig voneinander, das war bereits be-kannt. Nun ergab eine neue Studie, dass es auch keine großen Ähnlichkeiten zwischen den Gehirnen der vor rund 215 Millionen bis 66 Millionen Jahren lebenden Flugsaurier und denen heutiger Vögel gibt – wohl aber zu den Gehirnen der Vogelvorfahren, bestimmten Dinosaurierarten, die nicht oder nur eingeschränkt fliegen konnten. Außerdem hatten die Flugsaurier vergleichsweise kleine Gehirne im Verhältnis zu ihrer Körpermasse. Diese Erkenntnis stellt die langjährige Annahme in der Wissenschaft in Frage, dass ein großes Gehirn ähnlich dem der Vögel Voraussetzung für die Fähigkeit zu fliegen sei. Die Studie eines internationalen Teams aus Spezialisten stand unter der Leitung von Dr. Mario Bronzati aus den Geowissenschaften der Universität Tübingen und wurde in der Fachzeitschrift „Current Biology“ veröffentlicht. Flugfähigkeit stellt ein rares Gut dar Die Flugfähigkeit entwickelte sich nur dreimal innerhalb der Wirbeltiere: bei Fledertieren, bei Vögeln und bei den ausgestorbenen Flugsauriern. „Die Grundstruktur des Gehirns heutiger Vögel ist klar als Erbe von nicht flugfähigen Dinosaurierverwandten erkennbar“, sagt Prof. Lawrence Witmer von der Ohio University, USA, einer der Studienautoren. „Die Hirnstrukturen der Flugsaurier schienen hingegen wie aus dem Nichts entstanden zu sein.“ Diese Tiere waren vor mehr als 215 Millionen Jahren die ersten, die aktiv fliegen konnten, lange vor dem Auftreten der frühesten Vögel. „Erst seit einigen Jahren haben wir Hinweise auf enge Verwandte der Flugsaurier, auf die sogenannten Lagerpetiden, kleine, zweibeinige und wahrscheinlich auf Bäumen lebende Tiere“, berichtet Bronzati. Die bisher bekannten Fossilien der Lagerpetiden hätten dabei geholfen, die Veränderungen im Körperbau der Flugsaurier nachzuvollziehen. „Uns interessierten die Veränderungen in ihrer Gehirnanatomie, die mit der Entwicklung des Fliegens zusammenhängen.“ Künstlerische Rekonstruktionen eines Flugsauriers (oben) und eines Lagerpetiden (unten) aus der späten Trias vor 215 Millionen Jahren: Die Bilder rechts zeigen 3D-Rekonstruktionen ihrer Gehirne, die durch computertomografische Scans gewonnen wurden. Quelle: Fernandes, Müller, Bronzati Copyright: Universität Tübingen Untersuchung zahlreicher Schädel In seiner neuen Studie untersuchte das Forschungsteam Schädel von einer ganzen Reihe von Reptilien, von ausgestorbenen landlebenden Reptilien, wie Flugsaurier und Dinosaurier, bis hin zu heutigen Krokodilen und Vögeln. Mithilfe von computertomografischen Scans vermaßen die Forschenden die inneren Höhlungen, Vertiefungen und Löcher der Schädel, um die Form, Gestalt und Größe der Gehirne dreidimensional zu rekonstruieren. Unter den untersuchten Schädeln war der vollständigste bekannte versteinerte Schädel eines Lagerpetiden der Art Ixalerpeton pelesinensis, der in Südbrasilien gefunden und auf ein Alter von rund 233 Millionen Jahren datiert wurde.Die Rekonstruktion ergab, dass die Lagerpetiden, die nächsten Verwandten der Flugsaurier, noch sehr ursprüngliche Reptiliengehirne besaßen, ähnlich dem der frühesten Dinosaurier, die zur gleichen Zeit lebten. „Allerdings hatten sie bereits ein besseres Sehvermögen entwickelt. Ihre für das Sehsystem zuständigen Hirnlappen, das sogenannte Tectum opticum, waren vergrößert und seitlich angeordnet wie bei den Flugsauriern und den Vogelvorfahren“, sagt Bronzati. „Mit dieser Anpassung konnten sich die Lagerpetiden besser in einer baumbestandenen Umgebung zurechtfinden, und sie wird später vermutlich den Flugsauriern bei der Entwicklung des Fliegens geholfen haben.“ Insgesamt sei die Anatomie des Gehirns bei Flugsauriern und den Dinosauriervorfahren der Vögel ähnlich, berichtet der Studienautor Prof. Akinobu Watanabe von der New York University von den vergleichenden Analysen. „Bei den heutigen Vögeln sieht sie hingegen anders aus.“ Schnelle Evolution Der Untersuchung zufolge muss sich die Anatomie des Gehirns der Flugsaurier im Maßstab evolutionärer Zeiträume mit der Ausbildung der Flugfähigkeit sehr schnell entwickelt haben, sagt Bronzati. „Dies geschah mindestens 50 Millionen Jahre früher, als sich die Flugfähigkeit in der Abstammungslinie von Dinosauriern zu Vögeln herausbildete.“ Das sei erstaunlich, da Fliegen eine physiologisch anspruchsvolle Art der Fortbewegung sei. „Flugsaurier hatten viel kleinere Gehirne als Vögel, was beweist, dass man zum Fliegen kein großes Gehirn braucht“, setzt der Studienautor Prof. Matteo Fabbri von der Johns Hopkins University, USA, hinzu. Eine besondere Eigenschaft des Flugsauriergehirns sei ein vergrößerter Flocculus. Das ist eine Struktur des Kleinhirns, die mit der Verarbeitung von Sinnesinformationen zusammenhängt. Diese kamen von den membranbespannten Flügeln und halfen den Tieren, ihre Augen im Flug fest auf ihr Ziel zu richten. „Bei heutigen Vögeln ist hingegen vor allem das Großhirn stark vergrößert, was darauf hindeutet, dass sie über ausgeprägtere kognitive Fähigkeiten verfügen, etwa ein komplexes Sozialleben haben, höhere Fertigkeiten und Intelligenz“, sagt der Forscher.„Funde aus Südbrasilien liefern beeindruckende Einblicke in die Ursprünge großer Tiergruppen wie Dinosaurier und Flugsaurier. Jeder neue Fossilfund bringt uns der Vorstellung näher, wie ihre frühen Verwandten aussahen – ein Wissen, das noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar war“, erklärt der Studienautor Dr. Rodrigo T. Müller von der Universidade Federal de Santa Maria in Brasilien. „Die paläontologische Forschung gibt immer wieder faszinierende Einblicke in die Kraft der Evolution. Dazu haben unsere Forscherinnen und Forscher eine breite und tiefe Expertise aufgebaut“, sagte Prof. Karla Pollmann, Rektorin der Universität Tübingen.
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