Schlechte Luft gefährdet Kinder: Blutdruck und Diabetes-Risiko steigen

Die Luftqualität hat starken Einfluss auf die kindliche Gesundheit. (Bild: © Livia – stock.adobe.com)

Zwei Studien des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) in Bremen zeigen erstmals, dass die Luftqualität direkt den Blutdruck und wichtige Marker für das Diabetes-Risiko beeinflusst.

Beobachtungsstudien zeigen bereits, dass verschmutzte Luft Entzündungsprozesse im Körper fördern kann. Sie beeinflusst den Zuckerstoffwechsel und das kardiovaskuläre System und erhöht somit das Risiko für Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck. Und auch für das Sehvermögen konnte ein internationales Forscherteam jüngst einen solchen Zusammen zeigen.

Allerdings lassen Beobachtungsstudien keine eindeutigen Aussagen über Kausalität zu. Randomisierte, kontrollierte Studien wären erforderlich, um kausale Zusammenhänge zu prüfen. Dabei würden Individuen nach dem Zufallsprinzip Gruppen zugeordnet und unter definierten Bedingungen unterschiedlich hoher Luftverschmutzung ausgesetzt. Solche Studien sind in der Umweltmedizin jedoch praktisch schwer umsetzbar, da sie aufwendig und mit ethischen Herausforderungen verbunden wären.

Target Trial Emulation: Kausale Effekte ohne Risiko

Deshalb wählte das BIPS-Team um Dr. Rajini Nagrani und Dr. Maike Wolters einen alternativen Ansatz. Auf Basis der IDEFICS/I.Family-Kohorte – einer der größten europäischen Studien zu Gesundheit und Lebensstil von Kindern – simulierten sie mithilfe einer hypothetischen Intervention die Effekte einer verbesserten Luftqualität.

Die IDEFICS-Studie und ihre Erweiterung, die I.Family-Studie, zählen zu den umfassendsten europäischen Untersuchungen zur kindlichen Gesundheit. Zwischen 2007 und 2014 wurden 16.230 Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren in acht europäischen Ländern wiederholt untersucht. Erfasst wurden dabei Ernährung, Bewegung, Körpermaße sowie Blut- und Urinproben unter standardisierten Bedingungen. Für die aktuelle Analyse nutzte das BIPS-Team Längsschnittsdaten aus drei Erhebungswellen. Dadurch wollten sie die Zusammenhänge zwischen Umweltfaktoren wie Luftqualität und biologischen Markern im Kindesalter besser verstehen.

„In unserer Studie folgten wir einem Prinzip namens Target Trial Emulation. Zunächst spezifizierten wir eine ideale randomisierte Studie, die unsere Forschungsfrage beantworten könnte. In einem zweiten Schritt ahmten wir diese ideale Studie so genau wie möglich anhand von Beobachtungsdaten einer großen Kinderkohorte nach. Dadurch lässt sich der mögliche kausale Effekt abschätzen, ohne Kinder tatsächlich einem Risiko auszusetzen“, erklärt Dr. Claudia Börnhorst, Statistikerin am BIPS.

Messbare Effekte: Blutdruck und Zuckerstoffwechsel

Die Analysen zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen besserer Luftqualität und kindlicher Gesundheit. Eine geringere Belastung durch Feinstaub (PM2,5) und Ruß (Black Carbon, BC) senkte den Blutdruck von Kindern und Jugendlichen deutlich. Schon kleine Reduktionen dieser Schadstoffe führten zu messbaren Verbesserungen der Blutdruckwerte.

Auch der Zuckerstoffwechsel profitierte von sauberer Luft: Kinder, die geringeren Konzentrationen von PM2,5 und BC ausgesetzt waren, zeigten niedrigere Werte bei Insulinresistenz und Nüchternblutzucker. Wird der Feinstaubwert hypothetisch auf das von der WHO empfohlene Jahreslimit von 5 μg/m3 reduziert, sinkt der HOMA-IR-Wert – ein Maß für die Insulinempfindlichkeit – deutlich.

Für Stickstoffdioxid fanden die Forschenden hingegen keine eindeutigen Effekte. Insgesamt belegen beide Studien, dass selbst moderate Verbesserungen der Luftqualität positive Auswirkungen auf Stoffwechsel und Herz-Kreislauf-System im Kindesalter haben können. Damit liefern sie neue Argumente für politische Maßnahmen zur Luftreinhaltung – nicht nur zum Schutz der Umwelt, sondern auch der Gesundheit kommender Generationen.

Implikationen für WHO-Richtwerte und Politik

In den meisten europäischen Regionen werden die von der WHO empfohlenen Grenzwerte für Luftverschmutzung überschritten. Die Studien zeigen den Autoren nach, dass das Erreichen der WHO-Ziele für PM2,5 das Risiko für Bluthochdruck und erhöhte Diabetes-Marker bei Kindern erheblich senken würde. Vor dem Hintergrund, dass die globalen Luftqualitätsrichtlinien der WHO für 2021 aufgrund fehlender Daten keine Grenzwerte für Ruß enthalten, liefern die Ergebnisse neue Einblicke. Sie bewerten hypothetische Rußwerte und schätzen deren potenzielle gesundheitliche Vorteile für Kinder ab. Damit erweitern sie die Datenbasis für die zukünftige Abschätzung eines Ruß-Grenzwertes.

„Unsere Studie liefert wichtige wissenschaftliche Belege dafür, dass Luftreinhaltung sowohl den Stoffwechsel als auch das kardiovaskuläre System schützt. Eine saubere Umwelt ist damit ein zentraler Faktor für die langfristige Prävention chronischer Erkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck – und das bereits im Kindesalter“, führt Nagrani aus. „Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse Verantwortliche in der Politik motivieren, die Einhaltung der empfohlenen Grenzwerte für Luftschadstoffe sicherzustellen“, ergänzt Wolters.

(lj/BIERMANN)