Wird ALS in Zukunft heilbar?

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Kaum eine andere neurologische Erkrankung ist so gefürchtet wie die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), die innerhalb weniger Jahre zum Tod führen kann. Eine kurative Therapie gibt es bislang nicht, doch es zeichnen sich bedeutsame therapeutische Fortschritte ab, wie Prof. Thomas Meyer von der Charité Berlin anlässlich des DGN-Kongresses berichtete.

Es gibt Formen der ALS, die auf bestimmte Genmutationen zurückzuführen sind. Zu diesen zählen Mutationen im Superoxid-Dismutase-1-Gen (SOD1). Eine Möglichkeit, den Effekten dieser Mutationen entgegenzuwirken, bieten Antisense-Oligonukleotiden (ASO). Diese legen die mutierten Gene still (sog. gene silencing) und greifen somit direkt an der Krankheitsursache an. Das ASO Tofersen bindet an die mRNA des SOD1-Gens und blockiert die Produktion des SOD1-Proteins, das bei Betroffenen die Motoneurone zerstört.

Im Rahmen einer Kohortenstudie wurden in acht multidisziplinären ALS-Zentren in Deutschland 16 Betroffene mit SOD1-ALS im Schnitt elf Monate lang monatlich intrathekal mit Tofersen behandelt. Als Biomarker für den Grad der Schädigung und Neurodegeneration wurde die Konzentration der Neurofilament-Leichtkette (NfL) im Liquor beurteilt. Bei 58 Prozent der Untersuchten kam es zu einem signifikanten NfL-Rückgang, berichtete Meyer. Nur bei einer Person mit heterozygoter D91A-SOD1-Mutation fielen die NfL-Spiegel nicht ab, sondern stiegen. Diese Ergebnisse hinsichtlich des Laborparameters NfL korrelierten auch mit den von den Betroffenen selbst angegebenen Beurteilungen ihres klinischen Zustands. So berichteten 60 Prozent eine eindeutige Verbesserung der Zielsymptome.

Hoffnung nach Jahren erfolgloser Forschung

Ein weiteres Risikogen für die ALS ist das FUS-Gen, das an der DNA-Reparatur und dem RNA-Metabolismus beteiligt ist. Dessen Mutationen gehen mit einer besonders aggressiven Erkrankungsform einher, sie führen zu einer „Gain-of-Function“-Toxizität. Das ASO Jacifusen legt das mutante FUS-Gen still und wurde in einer aktuellen Fallserie untersucht. Die zwölf Patienten (median 26 Jahre alt; 58 % weiblich) erhielten das Medikament über einen Zeitraum von 2,8 bis 33,9 Monaten. Als Surrogatmarker für die ALS-Progression wurde auch hier die NfL-Konzentration im Liquor beurteilt – es kam zu einer Senkung von bis zu 82,8 Prozent, berichtete Meyer. Vor allem Personen mit geringer Symptomlast bei Studieneinschluss schienen auch klinisch zu profitieren: Ein Patient war zu Studienbeginn asymptomatisch und blieb es über drei Jahre, bei einer 16-jährigen Patientin wurde sogar eine objektive funktionelle Erholung dokumentiert. „Damit stellt sich die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für den Therapiebeginn. Möglicherweise sind wir umso erfolgreicher, je früher wir beginnen“, erklärte Meyer.

Ganz neu: Antikörper gegen SOD1-Proteine

Die Ablagerung von veränderten SOD1-Proteinen in motorischen Nervenzellen ist ein zentrales Merkmal der ALS. Sie kommt vor allem bei Personen mit Mutation auf dem SOD1-Gen vor, sie kann aber auch bei einer sporadischen, nicht genetisch bedingten ALS auftreten. Seit geraumer Zeit steht ein monoklonaler Antikörper (AP-101) zur Verfügung, der auf fehlgefaltete SOD1-Proteine abzielt und sie beseitigt.

Aktuell hat der Hersteller erste Ergebnisse einer Phase-II-Studie bekannt gegeben. Untersucht wurde AP-101 bei 52 Patienten mit sporadischer ALS und bei 21 mit SOD1-ALS. Demnach erfüllte das Medikament alle Sicherheitsendpunkte. In der Mitteilung des Herstellers heißt es darüber hinaus, dass nach zwölfmonatiger Behandlung bedeutsame Veränderungen bei klinischen Ergebnisparametern in Bezug auf Überleben und nicht invasive Beatmung sowie eine Stabilisierung der klinischen Krankheitsstadien und der Neurofilament-Biomarker beobachtet wurde. Die Vollpublikation der Studie stehe allerdings noch aus, betonte Meyer.

„Vorteile von Antikörpern sind, dass sie als einfache Infusion gegeben werden können und nicht in den Nervenwasserraum injiziert werden müssen“, erklärte der Neurologe. Von besonderer Bedeutung ist für den Experten jedoch, dass mit der Studie möglicherweise ein „proof of principle“ gelungen sei – nämlich dass die Abräumung eines pathogenen Proteins auch dann erfolgreich ist, wenn keine Genmutation vorliegt. „Die Ergebnisse dieser Studie müssen noch in einer größeren Phase-III-Studie überprüft und reproduziert werden, die wir mit Spannung erwarten“, erklärte Meyer.

Wie sind diese therapeutischen Entwicklungen zu bewerten?

„Insgesamt sind all diese Therapieergebnisse aus wissenschaftlicher Sicht und auch für uns Ärztinnen und Ärzte extrem beeindruckend. Wir haben Betroffene mit einer genetischen ALS gesehen, die mit der Therapie eine deutliche Verbesserung von Symptomen erfahren haben“, erläuterte der Leiter der ALS-Ambulanz der Charité. Wie der Experte weiter ausführte, stehe hinter diesen per se schon spektakulären Therapieerfolgen eine weitere, über die ALS hinausgehende wichtige Erkenntnis: „Wir haben gesehen, dass die funktionellen Einschränkungen reversibel waren.“ Dies bedeute, dass der Strukturverlust durch beschädigte Nervenfaser geringer war als der Funktionsverlust vermuten ließ. „Das ist etwas, das Zuversicht gibt, und zwar für alle neurodegenerativen Erkrankungen. Kurz: Es scheint deutlich mehr an Funktion rettbar zu sein, als wir bislang allgemein angenommen haben“, zeigte sich Meyer optimistisch.

Biologische ALS-Klassifikation erlaubt verbesserte Studiendesigns

Damit weitere zielgerichtete Therapien entwickelt und valide klinisch geprüft werden können, haben deutsche Experten die ALS nach biologischen Kriterien systematisiert und klassifiziert. Diese Klassifikation wurde international publiziert und sei, so Meyer, als das neue „Betriebssystem der ALS-Forschung“ zu verstehen. Anhand dessen könnten zielgerichtete Therapien entwickelt und auch zukünftige Studiendesigns passgenauer zugeschnitten werden.

„Die Erkrankung umfasst zahlreiche Subtypen, weshalb es nicht zielführend ist, eine Therapie an ‚der ALS‘ zu testen. Stattdessen ist eine differenzierte Betrachtung vielversprechend, denn oft ist es so, dass ein Medikament bei der einen Erkrankungsform wirkt, bei einer anderen aber nicht.“ Angesichts all dieser aktuellen Meilensteine und Forschungserfolge ist der Wissenschaftler optimistisch, dass ALS in Zukunft heilbar ist und dieses Ziel am Horizont erkennbar wird.