Antisense-RNA zur Behandlung schwerster Epilepsie bei frühgeborenem Kind

Nach einer Behandlung der Zellen mit einem Antisense-Oligonukleotid (ASO) gegen SCN2A zeigt sich eine deutliche Verminderung des roten Signals, was die Effektivität des ASOs verdeutlicht (rechtes Bild). In Blau sind die Zellkerne angefärbt. (Quelle:  © Dr. Matias Wagner | TUM Klinikum)

Mediziner des Dr. von Haunerschen Kinderspitals haben mit Kollegen der Neonatologie und des pädiatrischen Epilepsiezentrums am LMU Klinikum sowie des TUM-Klinikums ein Kind mit SCN2A-assoziierter Entwicklungs- und epileptischer Enzephalopathie (SCN2A-DEE) erfolgreich mit einem neuen Therapieansatz behandelt.

Ein Kind kommt im LMU Klinikum zu früh auf die Welt und leidet fast ununterbrochen an epileptischen Anfällen. Das Mädchen hat eine SCN2A-assoziierte Entwicklungs- und epileptische Enzephalopathie (SCN2A-DEE). Alle herkömmlichen, anfallsunterbrechenden Therapien bleiben erfolglos. Dann wagt ein Team des Dr. von Haunerschen Kinderspitals zusammen mit der Neonatologie und dem pädiatrischen Epilepsiezentrum am LMU Klinikum sowie dem TUM Klinikum einen neuen Behandlungsansatz. 

Die SCN2A-DEE wird durch Mutationen im SCN2A-Gen verursacht. Dieses Gen führt zur Produktion eines speziellen Proteins: ein Natriumkanal, der eine entscheidende Rolle bei der Funktion von Nervenzellen spielt. Veränderungen in diesem Gen führen zu einem fehlerhaften Protein und zu einer gestörten Signalübertragung im Gehirn. Die Folge: sehr frühe epileptische Anfälle mit Beginn vor dem dritten Lebensmonat und schwere Entwicklungsstörungen.

Im Falle des betroffenen Kindes aus München wurde der genetische Defekt bereits im Mutterleib diagnostiziert. Der Wert solcher genetischen Testungen ist mit dem Einzug neuer Präzisionstherapien erheblich gestiegen, da im besten Fall auf der Grundlage einer spezifischen Diagnose ein innovatives personalisiertes Therapiekonzept erarbeitet werden kann. Die Neuropädiatrie ist hier Vorreiter-Disziplin, auch wenn diese Therapien bisher nur für wenige Diagnosen zur Verfügung stehen und noch viele wissenschaftliche, technische, ethische und versorgungsspezifische Fragen offenbleiben.

Hoffnungsträger sind kleine RNA-Fragmente

In Kontext von Präzisionstherapien spielen die sogenannten Antisense-Oligonukleotide (ASOs) eine besondere Rolle. Sie können beispielsweise die Produktion krankheitsfördernder Proteine hemmen. Das in der neuen Studie verwendete ASO Elsunersen zielt auf die mRNA des SCN2A-Gens ab und führt zu dessen Abbau. So kann kein fehlerhaftes Protein hergestellt werden, welches die Krankheitssymptome verursacht.

Die Ärzte spritzten dem Mädchen das Elsunersen direkt in den Rückenmarkskanal. Parallel erfolgte eine konventionelle Therapie. Ergebnis: eine Durchbrechung der permanent bestehenden Anfälle sowie im Verlauf die Reduktion der Anfallshäufigkeit um mehr als 60 Prozent auf fünf bis sieben Anfälle pro Stunde, die bis zum Alter von 22 Monaten anhielt und eine klinische Versorgungsstabilität ermöglicht. Gleichwohl blieben die gravierenden neurologischen Entwicklungsstörungen, möglicherweise aufgrund der schon langen Zeit mit der Erkrankung im Mutterleib. Was die Sicherheit der Behandlung betrifft, zeigten sich keine schwerwiegenden Nebenwirkungen über einen Zeitraum von 20 Monaten Therapie mit 19 Verabreichungen.

Präzisionstherapien werden an Bedeutung gewinnen

„Die Studie unterstreicht das Potenzial von ASO-Therapien für genetische Erkrankungen“, erklärt Dr. Matias Wagner, Gruppenleiter für Nukleinsäuretherapien im Institut für Humangenetik am TUM Klinikum und während der Studienphase auch am LMU Klinikum tätig: „In Zukunft wird es einerseits den Einsatz von zugelassenen Medikamenten für Präzisionstherapien geben beziehungsweise werden wir diese im Rahmen von klinischen Studien am Zentrum hinsichtlich ihrer Wirksamkeit erproben. Andererseits gibt es Patienten, für die noch keine derartige Therapieoption zur Verfügung steht. Für diese möchten wir wirksame ASO-Therapien entwickeln.“

„Mit dem Einzug von ASO-Therapien hat ein neues Kapitel der Epileptologie begonnen“, betont Prof. Ingo Borggräfe, Leiter des Pädiatrischen Epilepsiezentrums am LMU Klinikum: „Die erfolgreiche Behandlung setzt große klinische Erfahrung, erhebliche personelle und logistische Ressourcen und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit voraus, was die Ausrichtung unseres Zentrums jetzt und in den nächsten Jahren weiter prägen wird.“

Das Münchner Team und seine Kooperationspartner wollen nun ASOs für weitere seltene neuropädiatrische Erkrankungen entwickeln, eingebettet in kompetente Versorgungsstrukturen und aufbauend auf den gewonnenen Erkenntnissen und der Expertise der beteiligten Forschungsgruppen innerhalb dieses universitätsübergreifenden Netzwerks.