Frühkindliche Leukämie: Zellen reaktivieren fetale Programme

Die UMAP (Uniform Manifold Approximation and Projection) bildet komplexe Einzelzell-Transkriptomdaten in zwei Dimensionen ab, sodass ähnliche hämatopoetische Zellen nahe beieinander liegen. Jeder Punkt steht für eine Zelle, die Farbe kennzeichnet ihren anhand der Genaktivität bestimmten Zelltyp oder Zellzustand. (Foto: © NCT Heidelberg)

Forschende am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg und am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) haben neue Erkenntnisse dazu gewonnen, wie die juvenile myelomonozytäre Leukämie entsteht. Die Ergebnisse eröffnen neue Angriffspunkte für Diagnostik und Therapie.

Bislang ging man davon aus, dass in kindlichen Tumoren vorgeburtliche genetische Veränderungen die Reifung von Stammzellen blockieren und somit fetale Entwicklungsprogramme dauerhaft erhalten bleiben. Dieses Modell sollte erklären, weshalb diese Tumoren molekulare Muster aufweisen, die typischerweise vor der Geburt, jedoch nicht mehr im Kindesalter vorkommen.

Entgegen diesem bekannten Modell fanden Forschende am NCT Heidelberg und am DKFZ bei der juvenilen myelomonozytären Leukämie (JMML), einer seltenen frühkindlichen Leukämie mit teilweise hochaggressiven Verläufen, ein überraschendes Zusammenspiel zweier Prozesse: Einerseits zeigten epigenetische Muster in Leukämiestammzellen eine weiterhin altersgemäße Reifung. Andererseits waren in denselben Zellen Stammzellprogramme verschiedener Entwicklungsstadien parallel aktiv, was auf deren krankheitsbedingte Reaktivierung hinweist. Insbesondere bei aggressiven Verlaufsformen der JMML fanden die Forschenden eine starke Reaktivierung fetaler Stammzellprogramme.

Bislang für kindliche Krebserkrankungen unbekanntes Phänomen identifiziert

Den Forschenden zufolge ist die gleichzeitige Aktivität unterschiedlicher Entwicklungsprogramme bei dieser Leukämie Ausdruck einer außergewöhnlich starken molekularen Plastizität. Dieses Phänomen ist bei vielen erwachsenen Krebsarten mit besonders aggressiven Verläufen verbunden. Bei kindlichen Krebserkrankungen war dies bislang nicht bekannt.

Damit erweitert die Studie das bisherige Modell entscheidend. Erstautor Mark Hartmann, Sektion Translationale Krebsepigenomik am DKFZ und am NCT Heidelberg, erläutert: „Frühkindliche Leukämien zeigen nicht immer eine Reifungsblockade im vorgeburtlichen Zustand, vielmehr können fetale Programme in Leukämiestammzellen auch durch eine spätere Reaktivierung nach der Geburt entstehen.“ Ob sich dieses Prinzip auch bei anderen Krebsarten des Kindesalters findet, muss in weiteren Studien untersucht werden.

Vielversprechender Angriffspunkt für Therapien

Unter den reaktivierten Programmen fiel das Zelloberflächenmolekül CD52 besonders auf: Es findet sich bei der JMML in besonderem Maße auf Leukämiestammzellen von Patienten mit hohem Risiko und bietet laut den Forschenden einen vielversprechenden therapeutischen Angriffspunkt, da es nicht auf gesunden Blutstammzellen zu finden ist. Maximilian Schönung, ebenfalls Erstautor der Studie, berichtet: „Wir konnten in Mäusen mit einem gegen CD52 gerichteten Antikörper ein Fortschreiten der Erkrankung deutlich bremsen und sogar die Leukämiestammzellen komplett auslöschen.“

Die Studie verdeutlicht, wie wichtig es ist, die unterschiedlichen Entwicklungsprogramme normaler Blutstammzellen zu kennen. Nur so lassen sich krankhafte Veränderungen bei frühkindlichen Leukämien präzise erkennen. Daniel Lipka, Leiter der Sektion Translationale Krebsepigenomik in der Abteilung Translationale Medizinische Onkologie am DKFZ und am NCT Heidelberg, ist Seniorautor der Publikation. Er sagt: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass aggressive Leukämien im Kindesalter nicht zwingend auf einer Reifungsblockade der Blutstammzellen im Mutterleib beruhen. Vielmehr können krebsfördernde Mutationen die molekulare Identität bereits gereifter Blutstammzellen so stark verändern, dass diese wieder in einen fetalen Zustand zurückfallen – dieses Wissen eröffnet uns neue therapeutische Optionen.“